SPD Vollmarshausen

1919-1945


Heinrich Heinemann

1919 nach Ende des 1. Weltkrieges, änderte sich die politische Situation gänzlich. Unmittelbar nach dem Krieg schlossen sich viele aktive Sozialdemokraten zusammen und gingen weitere Vereinsgründungen an. So entstanden z.B. der Arbeiter-Radfahrverein „Solidarität Vollmarshausen“, der Touristenverein „Naturfreunde Vollmarshausen“ und sogar eine Sterbekasse „Selbsthilfe Vollmarshausen“. Ebenfalls mit starker Unterstützung wurde der „Konsum- und Sparverein“, die Verteilungsstelle 44 ins Leben gerufen.
Für die ca. 40 Kriegsheimkehrer, wurde im oberen Bereich des „Heupel“ ein Fläche von etwa 15ha der Gemarkung „Pferdemarkt“ und „Vollmarshäuser Zuschlag“ zur Rodung und Schaffung von Ackerland durch Eigenarbeit zur Verfügung gestellt.
Als auch in Preußen das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht, sowie das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde, konnten die Vollmarshäuser Sozialdemokraten bei der Wahl 1919 von 12 möglichen Sitzen, 8 gewinnen.
Dies bedeutete, dass die Sozialdemokratie eine 2/3 Mehrheit in unserem Ort errungen hatte und somit in allen kommunalpolitischen Angelegenheiten die volle Verantwortung übernahm. Aber auch die gesamte gesellschaftspolitische Situation, wie das Vereinsleben oder die Schulverhältnisse, wurden ab jetzt von der Arbeiterschaft, welche bei uns im Ort sehr gut in der SPD organisiert war, maßgeblich beeinflusst und mitbestimmt .
Ludwig Ebrecht legte 1919 sein Amt als Vorsitzender nieder. Ihm folgte bis 1921 Justus Schreiber und von 1921 bis 1923 Wilhelm Gleim. Ab 1923 führte Heinrich Heinemann 37 Jahre (bis zum Jahre 1960) den SPD Ortsverein Vollmarshausen als Vorsitzender.
Diese lange Zeit das Amt eines Parteivorsitzenden auszuüben wird wohl in heutiger Zeit unerreicht bleiben. Selbst in der sehr schweren Zeit des Nationalsozialismus blieb Heinrich Heinemann „durch und durch" Sozialdemokrat.
Nach 1948 wurde Heinrich Heinemann auch für einige Jahre in den Kasseler Kreistag gewählt. Heinemann hat sich vor allen Dingen auch über die Parteigrenzen hinaus um die (Wieder-)Gründung des Sportvereins, des Männergesangvereines und des damaligen Verbandes der Kriegsgeschädigten (VdK) verdient gemacht. In diesen Vereinen und Verbänden bekleidete er ebenfalls Positionen im Vorstand.

 


Wilhelm Eberwein

Aufbauend auf die Wahlerfolge von 1919-1924, stellten die Vollmarshäuser Sozialdemokraten bei der Kommunalwahl 1924 einen Gegenkandidaten zum damaligen Amtsinhaber Jakob Rewald auf. Bei der Wahl wurde des SPD-Kandidat Wilhelm Eberwein mit 2/3-Mehrheit zum neuen Bürgermeister gewählt.
Konfrontationen mit den Bürgerlichen und den politisch rechts stehenden waren nun vorprogrammiert.
Es wurde die „Landwirtschaftliche Genossenschafts-Selbsthilfe“ gegründet, denn der örtliche Bauernverein machte das wahr, was er vor der Wahl von Wilhelm Eberwein zum Bürgermeister, den Arbeitern und SPD-Mitgliedern angedroht hatte:
Die im Bauernverein ansässigen Landwirte stellten den Verkauf, an die Arbeiter in der Bevölkerung Vollmarshausens ein. Auch landwirtschaftliche Arbeiten, wie zum Beispiel Ackern und Säen oder Mist auf die Äcker fahren, wurde bei SPD-Mitgliedern nicht mehr ausgeübt.
Hervorgerufen durch diesen „Boykott" wuchsen innere Spannungen in Vollmarshausen heran. In der Arbeiterschaft wurden diese vom Bauernverein durchgeführten Maßnahmen jedoch in eine nicht erwartete Solidarität gewandelt. 1929 begann der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands.

 

Die Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung nahm rasant zu. Die Sozialdemokraten in der politischen Gemeinde versuchten durch Notstandsmaßnahmen die aufkommende Not zu lindern. Es wurden Gemeindearbeiter eingestellt, die den Wegebau vorantrieben und die Trockenlegung von verschiedenen Wiesen durchführten. In der Vollmarshäuser Gemarkung wurden auch Flutgräben ausgehoben. Sinn dieser Arbeiten war, die Gemeindearbeiter ein halbes Jahr zu beschäftigt, um wieder Arbeitslosengeld empfangen zu dürfen. Dies gelang aber nur mit begrenztem Erfolg.
1930 nahmen auch in Vollmarshausen die Nationalsozialisten zu, jedoch konnten die Sozialdemokraten bei den durchgeführten Gemeinderatswahlen ihre 2/3 Mehrheit halten.
Dies war mitunter hauptsächlich auf das Ansehen von Bürgermeister Wilhelm Eberwein in der Bevölkerung zurückzuführen. Wilhelm Eberwein war im wahrsten Sinne des Wortes ein Mann des Volkes.
Trotzdem stellten sich die politisch rechts stehenden „Bürgerlichen" und der hiesige Bauernverein mit aller Kraft gegen den Sozialdemokratischen Bürgermeister Wilhelm Eberwein.
Die Nationalsozialisten stellten sogar 1932 einen Antrag im preußischem Landtag mit der Auforderung, den Bürgermeister von Vollmarshausen seines Amtes zu entheben.
Attacken auf Sozialdemokraten wurden in dieser Zeit immer massiver und verstärkt durchgeführt. Die meisten führten zu Schlägereien mit der SA aus.
In unserer Nachbargemeinde Ochshausen kam es bei Auseinandersetzungen beim Aufstellen bzw. beim Überkleben von Wahlplakaten zu einem Schusswechsel.
In Vollmarshausen kam es nur zu kleineren „Rangeleien" zwischen SA (Sturmabteilung der NSDAP) und Mitgliedern des Reichsbanners (Kampforganisation, überwiegend bestehend aus SPD-Mitgliedern, die die Republik gegen Angriffe ihrer Feinde schützen wollten).
Dennoch feierten die Vollmarshäuser Sozialdemokraten am 21. Mai 1932 ihre ersten Parteijubilare. Für eine 25-jährige Mitgliedschaft wurden in der Mitgliederversammlung folgende Genossen geehrt:
Philipp Bischoff; Ludwig Ebrecht, Heinrich Eckel, Jakob Gleim, Oskar Henning, Heinrich Kaiser; Ludwig Kaiser; Bernhard Koch, Christoph Koch, Heinrich Lübeck; Georg Mohr,
Justus Schneider; Kaspar Sehrt; Jakob Weinmeister und Heinrich Weißenborn.

 


Fahne des Reichsbanners (OV Stockheim)

Ab Januar 1933 brach in Deutschland eine neue politische Zeitrechnung an. Die Regierung wurde von den Nationalsozialisten übernommen.
Vor den Wahlen zum Gemeindeparlament die am 21. März 1933 stattfanden, wurde vom Sozialdemokraten Fritz Hollstein eine rote Fahne mit drei Pfeilen in der obersten Spitze der Vollmarshäuser Dorflinde gehisst (die „drei Pfeile" tauchten zum ersten Mal als Kampfabzeichen in regionalen SPD Wahlkampfmaterialien im Jahre 1932 auf und waren als Gegensatz zum Haken-kreuz der NSDAP gedacht). SA-Männer holten sie unter größten Anstrengungen wieder herunter. Dennoch, am nächsten Morgen hing wieder eine solche Fahne in der Spitze der Linde. Die SA stellte dann bis zum Wahltag eine Wache unter der Linde auf.

 

An diesem 21.März 1933 erhielt die SPD nochmals acht Mandate im Gemeindeparlament. Unmittelbar nach der Wahl wurde den sozialdemokratischen Gemeindevertretern die Wahrnehmung ihres Mandates untersagt. Die acht Plätze wurden an Kandidaten der NSDAP vergeben.
Wilhelm Eberwein war als Vertreter der Vollmarshäuser Sozialdemokraten in den Kreistag gewählt worden, doch bereits zur ersten Kreistagssitzung ahnte er wohl, dass die Nazis ihn aus diesem Wahlamt entfernen wollten. Eberwein war schwer kriegsbeschädigt mit einer Beinamputation und mit mehreren Auszeichnungen (unter anderem der bayrischen „Tapferkeitsmedaille"und dem „Eiseren Kreuz ") aus dem 1. Weltkrieg heimgekehrt.
Die Auszeichnungen trug er zur ersten Kreistagssitzung sehr offen und für jedermann gut sichtbar an seiner Kleidung. Er hatte scheinbar sein Ziel erreicht, die SA-Männer hatten keinen Mut, ihm vor- oder während der Sitzung das Mandat zu entziehen. Ihre Zurückhaltung hielt jedoch nur für die Dauer der ersten Kreistagssitzung. Unmittelbar nach der Sitzung wurde er seines Amtes enthoben.
Zum Ausdruck des Widerstandes und der Ablehnung der NSDAP wehte am 1. Mai 1933 sehr zum Ärger der Nazis wieder die rote Fahne mit den „drei Pfeilen" in der Spitze der Vollmarshäuser Dorflinde.

 


Fahne des Reichsbanners (ab 1931)

Im Juni 1933 wurde die SPD von den Nazis verboten.
Der damalige Kassierer Justus Schmidt musste die Parteikasse (63,34 Reichs Mark in bar) und die noch vorhandenen Beitragsmarken (323 x 0,05 RM; 302 x 0,10 RM; 148 x 0,15 RM und 112 x 0,25 RM) an die Ortspolizeibehörde (Neuenhagen) abliefern. Der damalige Mitgliederbestand: 85 männliche und ein weibliches Mitglied.
Nach der Machtübernahme durch die NSDAP wurden auch in Vollmarshausen einige Genossen kurzfristig inhaftiert, so z.B. Wilhelm Eberwein und Hugo Kranich, der Vorsitzender des „Vereins für bewusste Schwangerschaft" war. Als eine Schulklasse Sportunterricht auf dem Sportplatz betrieb, konnten sie beobachten, wie Wilhelm Krug mit einem Auto mit verhängten Fenstern abgeholt wurde. Wilhelm Krug wurde dem Lager der Kommunisten zugezählt.
Mit dem Verbot der SPD wurden auch die Organisationen und Untergliederungen und Vereine wie z.B. : Reichsbanner, Arbeiterwohlfahrt, Arbeiter-Samariterbund, Arbeiter Radfahrverein „Solidarität" und die Naturfreunde verboten. Eine politische Betätigung wurde unter Strafe gestellt.
Das Vermögen der Partei musste auf dem Bürgermeisteramt abgegeben werden.
Protokollbücher, Mitgliederlisten und andere Aufzeichnungen wurden vom SPD-Ortsvorstand vernichtet. Keinesfalls sollten irgendwelche Parteiunterlagen in die Hände der NSDAP fallen.
Im April 1935 wurde auch die durch Sozialdemokraten erst in den 20er Jahren gegründete „Landwirtschaftliche-Genossenschaftliche-Selbsthilfe" verboten.
Der verantwortliche Landrat begründetet dies wie folgt:
......„Meine Ermittlungen haben ergeben, dass ihre Genossenschaft als eine getarnte marxistische Gemeinschaft anzusehen ist. Die Mitglieder der Genossenschaft, insbesondere aber ihr Vorstand, sind frühere Marxisten. Es besteht die Gefahr, dass die Genossenschaft über ihren wirtschaftlichen Rahmen hinaus dazu benutzt wird, eine staatsfeindliche Gemeinschaft fortzusetzen. Es ist daher zulässig, die Genossenschaft als staatsfeindliche Organisation zu verbieten, sie aufzulösen und ihr Vermögen zu enteignen."
Aufgrund dieser Verfügung hat der Vorstand der Genossenschaft das gesamte Vermögen an den „Fuhrwerker", den Sozialdemokraten Jakob Schneider in einer „Nacht- und Nebelaktion verkauft. Die bekannte Kasseler Sozialdemokratin und Notarin sowie Frauenrechtlerin, Elisabeth Selbert stand dabei den Vollmarshäuser Sozialdemokraten hilfreich zur Seite.
Bis zum Kriegsende 1945 gab es in Vollmarshausen keine sozialdemokratischen Aktivitäten mehr.

 

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